Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte – in diesem Falle bin das ich, denn ich liebe Geschichten über unangemessenes Benehmen, deplatzierte Kritik und Kulturkontroversen wie Zweisprachigkeit und Identität. Eine Charakterschwäche in Zeiten von Twitter, zugegeben. Aber immer noch besser als Rauchen oder Petzen.
Eine gute Freundin war unlängst Gast bei einer Feierlichkeit in einer bessergestellten deutschen Region. Beim Cocktail unterhält sie sich mit einer anderen Eingeladenen, der Nachbarin ihrer Gastgeberin. Nach kurzer Begegnung mit ihren Familien unterhalten sich die beiden allein weiter.
“Du sprichst ja Englisch mit deinen Kindern!” bemerkt die neue Bekanntschaft.
“Ja, meistens.”
“Aber warum? Du bist doch aus Deutschland.”
“Unser Leben findet in zwei Sprachen statt – öfter Englisch als Deutsch.”
“Aber du bist doch Deutsche. Du musst deinen Kindern konsequent deine deutsche Sprache und Kultur beibringen. Das ist deine Verantwortung als Muttersprachlerin.”
“Meine Sprache und Kultur ist ein ziemliches Gemisch. Ich bin seit über 30 Jahren im englischsprachigen Ausland mit englischem Partner. Englisch ist unsere Familiensprache.”
“Aber wie willst du den Kindern denn ihre deutsche Identität vermitteln? Das geht doch alles verloren.”
“Die Kinder haben eine eigene Identität. Deutsch ist ein Teil davon. Aber eben nicht alles.”
“Also ich find’ ja das geht gar nicht. Wenn man deutsche Muttersprachlerin ist, muss man den Kindern das auch richtig beibringen, sonst geht unsere Kultur den Bach runter.”
Meine Freundin zog sich höflich zurück. Dass man in Deutschland gern mal ungefragt darüber informiert wird, was richtig und was falsch ist, war bekannt. Die Kulturhüterin, erfährt meine Freundin später, ist mit einem österreichischen Prommikoch verheiratet, der unlängst in Deutschland Erfolge feiert. Beim Essen sprechen die beiden Frauen noch einmal miteinander. Froh, ein sicheres Thema gefunden zu haben, sagt meine Freundin: “Toll, dass euer Wirtshaus jetzt auch in Deutschland so erfolgreich ist.” Diese starrt sie entsetzt an. “Wirtshaus? Das ist doch kein Wirtshaus! Das ist eine Eventlocation!”
Finde den Fehler. Da einem die passenden Antworten grundsätzlich zu spät einfallen, antwortete meine Freundin: “Ach so.” und nicht: “Prima, das verstehen sogar meine Kinder.”
Eltern, die ihr Familienleben in gemischten Familien, im Ausland, oder in einem Drittland mit einer weiteren Sprache verhandeln – denn eine Verhandlung mit der Realität ist Elternsein ja immer – treffen entweder instinktiv eine Entscheidung oder bewusst. Auch beliebt: man fängt mit guten Vorsätzen an, hat bei jedem Verstoss ein schlechtes Gewissen, bessert sich aber trotzdem nicht. Da helfen dann auch die kritischen Kommentare deuscher Alleswisser nicht so richtig.
In einer Zeit, wo viele privilegierte deutsche Eltern ihre Kinder in zweisprachige Kitas und Schulen schicken, gilt es als verschenkte Gelegenheit, die perfekte Zweisprachigkeit bei im Ausland aufwachsenden Kindern nicht mit demselben Eifer zu fördern. Dabei ist das schwieriger als man denkt. Wenn das eigene Leben vorwiegend in einer englischsprachigen Umgebung stattfindet, braucht man viel Disziplin, um konsequent mit seinen Kindern Deutsch zu sprechen. Mir selbst ist das nur gelungen, wenn ich mit meinen Kindern allein war. Ich war viele Jahre die einzige deutschsprachige Bezugsperson meiner Kinder. Unser hongkonger Leben war umgeben von Englisch, Tagalog und Chinesisch – English war sprachlich immer der gemeinsame Nenner. Sobald wir nicht unter uns waren, also fast immer, wurde Englisch gesprochen. Ich wollte niemanden ausschließen. Und wie meine Freundin hatte auch ich bereits 15 Jahre in England gelebt, bevor ich Kinder bekam.
Zweisprachigkeit ist schön, wenn die Umgebung das hergibt. Wir leben seit 6 Jahren erstmals als deutsch-amerikanische Familie in Deutschland und unsere Kinder konnten hier auf ein gutes Fundament aufbauen. Aber sie machen Fehler. Als Familie hatten wir immer Spaß an Sprachen. Wir hatten vielleicht kein linguistisch korrektes, allerdings ein sozial inklusives Familienleben. Als studierte Linguistin und langjährige Deutschlehrerin hätte ich es tatsächlich besser machen können. Aber der Schaden hält sich in Grenzen und die Zweisprachigkeit meiner Kinder hätte – da bin ich mir sicher – einen anderen Preis gehabt. Unsere philippinische Haushalts- und Kinderbetreuung hätte beispielsweise zu spüren bekommen, dass sie nicht Teil der Familie ist. Doch sie war Teil der Familie, ein sehr wichtiger sogar. Und wir halten ihr bis heute die Treue.
Wir vergessen schnell, dass unser Wissen über Zweisprachigkeit an eindeutigeren Lebensmodellen gewachsen ist und wir heute viel individuellere Lebensläufe leben als vor 30 Jahren. Gleichzeitig verändert sich auch die deutsche Sprache laufend, wird gerade von Muttersprachlern häufig misshandelt und wir kriegen derzeit nicht mal das Gendern auf die Reihe. Fehler in der Sprache sind verzeihlich, solange die Kommunikation funktioniert. In perfektem Deutsch unfreundlich sein oder in fehlerhaftem Deutsch ein nettes Gespräch in einer Eventlocation führen? Ich weiß jedenfalls, was mir mehr Spaß macht.
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