Fehler, made in Germany


Caroline Roy, Juli 2022 

Niemanden habe ich kollektiv so selbstkritisch erlebt wie uns Deutsche. Mit dem Deutschsein hat man zumindest ein Thema, wenn nicht sogar ein Problem, sonst macht man sich verdächtig. Immerhin: der deutsche Pass ist einer der begehrtesten der Welt, hält allerdings im eigenen Land nicht so richtig, was er verspricht

Deutsche Identität erwirbt man mit ihm nicht unbedingt, auch bringt der Pass in der Tasche nicht zwangsläufig ein Gefühl für die Privilegien, die mit ihm einhergehen: rechtsstaatliche Sicherheit, freie Medien oder Anspruch auf eine gewisse Grundversorgung beispielsweise. Im Gegenteil. Wir mäkeln an unserem Staat wie ein vor dem Teller sitzendes Kind, das den Spinat nicht aufessen mag. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien kriegen es ab.


Die Tatsache, dass man nach dem 2. Weltkrieg mit Marshallplan, uns gewogenen Alliierten und gelungenem Wirtschaftswunder eine halbwegs gerechte Republik schaffen konnte, die ihresgleichen sucht – geschenkt! Das Grauen, welches unsere Vorfahren der Welt beschehrten, mussten wir auch nicht wirklich ausbaden. Im Gegenteil. Wir bekamen die Mischbatterie im Neubau und machten uns bei Englandreisen in den 1970er Jahren in touristischer Lautstärke darüber lustig, dass dort das Badewasser aus einem kochend heißen und einem kalten Schlauch in die Wanne tröpfelte. 

In der Bundesrepublik floss in wirtschaftswundrigen Zeiten nicht nur das perfekt temperierte Badewasser, sondern auch Bildungswohlstand, Gewerkschaften und nagelneue Infrastruktur. Das schlechte Gewissen für die systematische Ermordung von Millionen von Menschen hätte allein aufgrund seines messbaren Ausmaßes viel mehr Raum im deutschen Nachkriegs- und Republikalltag einnehmen können. Dabei habe ich noch nichtmal die vielen zerstörten, traumatisierten und traurigen Biographien in Betracht gezogen, die mit dieser deutschen Geschichte verbunden sind. Fairerweise hat die Literatur und der Kulturbetrieb hierzulande viel geleistet, um diesem grossen Thema gerecht zu werden. Aber das ist ein anderes Thema.

Historisch passen das Ausmass am Grauen und Zerstörung nicht mit dem Erfolg des deutschen Wiederaufbaus zusammen. Doch muss ich konsequenterweise fragen: wie hätte es denn sein sollen, wie hätte es gepasst, und wie hätte es  ausgesehen haben müssen? Darauf weiss ich keine Antwort. Aber ich kann mir eine Haltung vorstellen, die Wohlstand, Redefreiheit und Rechtstaatlichkeit nicht für so selbstverständlich hält, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Konsequent weitergedacht würde die Erkenntnis, dass diese Privilegien Errungenschaften und keine Selbstverständlichkeiten sind, vielleicht manche Leute dafür sensibilisieren, dass wir diese Dinge hier durchaus leben können. Jedesmal, wenn ich höre, dass man bestimmte Dinge nicht sagen dürfen soll, frage ich mich ob ich was verpasst habe oder unter einem Stein lebe.

Seit Frühjahr 2022 diskutieren wir über unsere Verantwortung gegenüber der Ukraine. Sollen wir alle Waffen liefern, die wir haben, wenn uns die Ukrainer darum bitten? Das hätten wir sofort tun sollen, spätestens gestern. Schon allein deshalb, damit dieser Krieg so militärisch wie möglich geführt werden kann und nicht durch Morde und Vergewaltigungen an Kindern und Frauen noch grausamer wird, als er ohnehin schon ist. Allein das wäre ein Grund. Einer von vielen.

Es ist richtig, wenn Beobachter das öffentlich wahrgenommene Zögern kritisieren. Es kann nicht sein, dass wir dies in unseren Köpfen und Herzen nicht wissen. Aber ich kann dies nur aus der Position einer militärstrategisch Ungebildeten sagen. Vielleicht hat Kanzler Scholz ja einen Plan, den 70% der deutschen Öffentlichkeit nicht verstehen. Und vielleicht tut er gerade hinter unserem Rücken genau das richtige, auch wenn es sich komplett falsch anfühlt. Wer weiss das? Katastrophal bleibt dennoch seine Kommunikation, ganz unabhängig von der Qualität seiner Entscheidungen. Wenn man eine Führungsposition (ist Kanzler eigentlich eine Führungsposition, in der man führt, oder ein Amt, welches man möglichst beamtig bekleidet? Allein sprachlich scheint das schon unentschieden) einnehmen will, muss man sein Verhalten öffentlich schlüssig darstellen wollen und können. Soviel Zeit muss sein, soviel Geschick müssen wir erwarten. Die Grünen kriegen es schliesslich auch hin. 


Selbst wenn man seine Strategien nicht offenlegen will, muss man für eben dieses Nichtoffenlegenwollen eine Sprache finden. Nennt es eine Erzählung, ein Narrativ, eine Geschichte, ist mir egal, solange der Kanzler plausibel mit einer mündigen deutschen Öffentlichkeit in Kontakt tritt. Ich kann mich nicht erinnern, Vertrauen in unsere politische Führung je als nötiger empfunden zu haben als gerade jetzt. Während der Corona-Krise war es mir irgendwann egal, wer was wie gesagt hat, denn mit Infos, gesundem Menschenverstand, Rücksicht, einer Maske und Impfungen kam man da irgendwie durch. Aber es macht mich komplett irre, wie wenig Regierende und Öffentlichkeit aus den maroden Kommunikationmustern während der Pandemie gelernt haben.


Ich wünsche mir klare Worte in der Politik. In den fast sechs Jahren, die ich jetzt in Deutschland lebe, habe ich viele gute Journalisten, Autoren und öffentliche Stimmen entdeckt. Heute gibt es für schlechte Kommunikation keine Entschuldigung mehr. Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Fehler in der öffentlichen Kommunikation sind gemessen an den grossen Aufgaben, die wir als Menschenkollektiv gerade lösen müssen, wirklich leicht zu verhindern. Und gerade wegen ihrer Vermeidbarkeit sind diese Fehler, wenn sie dennoch passieren, schlicht unerträglich.

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